Mittwoch, 10. März 2010

The Ticklestick Factory Inc.

Nun schau ich mir schon eine Viertelstunde die Ueberschrift an, denn irgendwie weiss ich gar nicht, wie ich anfangen soll.
Der Schock oder besser das Unverstaendnis ueber das, was gesehen ist, macht mich stumm. Irgendwie sprachlos. Also, fange ich einmal von vorne an:
4 Montae nachdem ich in Kanada "gelandet" bin, fing in der Ticklestick Factory zu arbeiten an. Was fuer andere Gummibaerchen auf einen Spiess stecken ist, war fuer mich mein ganz persoenlicher Kanada-Support. Ich sass zusammen mit 5 Frauen an einem Tisch und waehrend wird die Gummitiere quaelten, unterhielten wir uns, lachten, sangen und und und. Dass ganze von 9 bis 13 Uhr, fuer zuerst 8, dann 9 und letztlich 10 Dollar die Stunde (Mindestlohn zu der Zeit war hier 7,50$).
Die Zeit verging wie im Flug, der Job war nix Besonderes, aber hat Spass gemacht. Und was immer ich wissen wollte, bekam ich hier erzaehlt. Tipps zu allen Lebenslagen in meinem neuen Leben. Unsere Chefin Sue-Anne behandelte uns eher wie eine Freundin und war immer zu Spaessen aufgelegt. Wir trafen uns abends zum "Stichen-Bitch" (gemeinsames Alibi-Handarbeiten mit Snacks und Drinks) und fuhren zum Shoppen in die USA. Alles sehr sehr lustig. Einziger Haken: Das Gummitierspiess-Geschaeft lief nicht besonders gut und so kam es, dass wir immer wieder mal einen Tag ohne Arbeit (und somit auch ohne Geld) waren. Anfang November 2008 schloss die Ticklestick Factoy dann fuer die jaehrliche Winterpause, die aber in den Jahren zuvor immer erst Mitte Dezember anfing und Anfang Januar beendet war. In diesem Jahr war es wesentlich frueher und als Ende Januar immer noch keine Arbeit in Sicht war, suchte ich mir einen neuen Job. Das ging Ruck Zuck, in der Flughafen Snackbar konnte ich sofort anfangen. 8.75 $ die Stunde, Vollzeit, Schichtdienst bis 22 Uhr. Nicht gerade Traumbedingungen, aber wir hatten zu der Zeit soviele Ausgaben, dass mir das egal war, ich wollte die Kohle. (Ich war jung und braucht das Geld.... aehmm)
Die Kolleginnen dort waren super nett und bis auf die Tatsache, dass es zwischen den Fluegen langweilig war (in Fredericton landet nur alle paar Stunden ein Flieger) habe ich mich dort wohl gefuehlt.
Ich war ca. 3 Wochen dort, da kam der Anruf aus der TSF, die Produktion ging weiter. Leider ohne mich, denn nun hatte ich am Airport angefangen und wollte erst mal mein mittlerweile sehr geschruftes Sparbuch etwas fuettern. Mit einem 4 Stunden-10 Dollar-Job ging das nicht so gut.
Etwa eine Woche spaeter rief mich Sue-Anne an. Sie bot mir an, vormittags am Produktionstisch wie gehabt zu arbeiten und nachmittags im Buero. So dass ich, je nach Arbeitsaufkommen auf 6-8 Stunden am Tag kaeme. Yippieh! Das war natuerlich ein Klasse-Angebot, welches ich gerne annahm.
Anfang April kehrte ich also zurueck und war happy, denn die TSF war noch dazu nur um die Ecke von unserer Wohnung.
Die Einarbeitung im Buero lief sehr sehr traege an. Sue-Anne hatte leider nur sehr wenig Zeit. In den Computer wurde ich in 2 Stunden von Sue-Anne's Schwester Nancy eingewiesen und eigentlich war es das. Man vertroestete mich immer auf die naechste Woche. In der Zwischenzeit sollte ich Rhonda helfen, die als Produktion-Supervisor nachmittags die Sticks verpackt hat und vorbereitende Arbeiten erledigte. Da war genug zu tun und im Prinzip war mir egal, was ich machte. Hauptsache ich machte etwas und das Umfeld stimmt.
Das private Verhaeltnis zu Sue-Anne vertiefte sich in dieser Zeit, wir machten u.a. gemeinsam Sport und planten unseren Deutschland Urlaub im September.
Anfang Mai erkrankte Sue-Anne. Kein Mensch sagte uns, was los ist oder wie es weiter gehen soll. Sie war einfach weg und fuer uns nicht mehr erreichbar. Von Ihren Kindern erfuhren wir nur, dass sie sehr krank ist. Mehr nicht. Was tun?
Rhonda und ich entschieden uns fuer "Business as usual" und machten einfach mal so weiter wie bisher. Das Problem war nur, dass ich im Buero von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Ich wusste nicht mal, wie man die Mailbox abhoert, ganz zu schweigen von Lieferscheinen, Rechnungen, Versand und so weiter. Naja, lange Rede, kurzer Sinn: Ich fand es heraus. Learning by doing und im Prinzip ist es nicht viel anders als in Deutschland. Es funktionierte und so konnten wir produzieren, Auftraege entgegennehmen und Ware ausliefern.
Ca. 2 Wochen nach Sue-Annes Verschwinden bekamen wir eine Email von Ehemann Joe, in der er uns mittteilte, dass Sue-Anne einen kindskopfgrossen (zum Glueck gutartigen) Tumor im Bauch gehabt hatte. Dieser wurde entfernt und dabei wurde eine akute Leukaemie festgestellt. Sue-Anne sei nun in Saint John (120km entfernt) in der Klinik zur Chemo.
Nun wusste wir wenigstens mal, was eigentlich los ist und vor allem, dass sie so schnell nicht wiederkommen wird.
In der TSF lief alles soweit ganz gut, Rhonda kuemmerte sich um die Produktion und ich um die Administration. Die Maedels am Tisch waren toll. Wir zogen alle am selben Strang, alle wollten nur eins: Sue-Anne's Baby, die TickleStick Factory erhalten. Fuer sie. Fuer Sue-Anne.
Aber leider war ich finanziell nicht handlungsfaehig. Ich musste Lieferanten und Transporteure bezahlen, hatte aber keine Kontenvollmacht oder Schecks. Ja und die Payschecks mussten auch geschrieben werden. Joe war leider nur sehr bedingt erreichbar und immer wenn Rhonda oder ich ihn am Telefon hatten, bekamen wir das Gefuehl, dass wir stoeren oder so.
Nun gut, er kam dann 1x die Woche und unterzeichnete die von mir vorbereiteten Schecks und so konnten wir das alles ganz gut fortsetzen. Spaeter ueberlies mir Sue-Anne ein Scheckbuch mit blanko unterzeichneten Schecks, sowie ihre Bankkarte samt PIN. Das vereinfachte die Sache ganz erheblich.
Unsere Produktions lief gut, wir hatten super Zahlen. Der Verkauf lief auch gut, ein paar Werbemassnahmen griffen und so bekamen wir neue Kunden, u.a. eine Buchhandels und DVD Kette aus Quebec, denen wir 15 (!) Laeden einrichten durften.
Eine Menge arbeit, die Rhonda und mir aber sehr viel Spass machte. Unsere vielen Ueberstunden haben wir nicht aufgeschrieben.
Im Juli dann endlich der erste Anruf von Sue-Anne in der TSF. Ihr erster Satz war :
"Na, wie fuehlt man sich als Chef...?"
Sie sagte es in einem spassigen Ton und auch wenn es mich nachdenklich machte, tat ich es als merkwuerdigen Witz ab.
Es ging ihr soweit ganz gut, aber die Haare waren natuerlich futsch und sie wuerde auch noch eine Weile weg sein. "Na gut. Machen wir also weiter".
Kurze Zeit drauf dann der Schock: Rhonda bekam Lymphdruesenkrebs diagnostiziert.
Auch sie musste sich einer Chemotherapie unterziehen, alle 3 Wochen, ambulant im Krankenhaus in Fredericton.
Aber auch das haben wir in den Griff bekommen. Die Maedels waren sofort bereit, einige Aufgaben von Rhonda mit zu uebernehmen und so haben wir die Situation gemeinsam bewaeltigt. Alle 3 Wochen war die TSF fuer einen Tag zu, dann bin ich mit Rhonda zur Chemo und nachdem ich sie heim gebracht habe, bin ich in die TSF und habe den naechsten Tag vorbereitet. Rhonda war dann fuer 3-4 Tage (mit schlechtem Gewissen) zu Hause, war dann aber wieder voll im Einsatz, bis zur naechsten Ladung Chemo.
Es war hart, aber es lief. Unsere Produktions- und Umsatzzahlen waren super.
Mitte September musste ich dann die geplante Deutschlandreise antreten, die mir ja auch viel Spass gemacht hat, vor allem, weil ich Euch alle wiedersehen durfte, aber es war schlimm fuer mich, die TSF und vor allem Rhonda, die just zu meiner Abreise mit zu niedrigen Blutwerten im Krankenhaus lag, alleine zu lassen.
Eine ganze Woche war zu (was gut so war, denn auch die Maedels brauchten eine Pause), dann war Rhonda wieder da und es ging weiter.
Mittlerweile war Sue-Anne aus Saint John wieder zu Hause. Sehr schwach, aber sie hatte die Chemo hinter sich. Wir hatten ein paarmal Kontakt zu ihr, aber die Familie hat sie regelrecht abgeschottet. Ende September musste sie dann nach Halifax zur Knochenmarkstransplantation, es hiess, wenn sie Glueck habe, sei sie Weihnachten wieder daheim.
Aus Deutschland hab ich mir meinem Husten mitgebracht und die ersten Tage war ich echt richtig krank. Dann ging es wieder und alles lief wie gewollt.
Im November haben wir dann, auf Wunsch von Sue-Annes Vater, dem das Haus in dem die TSF war gehoert, den kompletten Umzug der Firma in Sue-Annes Haus organisiert und erledigt. Das war schon ca. 2 Jahre geplant und wurde immer wieder vershcoben. Nun sollte es eine Ueberraschung fuer sie sein, wenn sie heim kam.
Ich moechte gar nicht mehr an diese Buckelei denken. Rhonda immer noch unter Chemo und ich mit Keuchhusten... Horror bis tief in die Nacht.
Aber in nicht einmal einer Woche konnten wir die Produktion wieder aufnehmen. Wir haben uns total gefreut, die Firma nun in unmittelbarer Naehe von Sue-Anne zu haben. Wenn sie dann daheim ist, waere sie nicht alleine im Haus, koennte immer schaun, was so los ist und kann langsam anfangen zu arbeiten, wenn sie moechte, oder auch nicht.
Viel frueher als erwartet war sie dann auch wieder da. Anfang Dezember. Sehr schwach und von der eigentlichen Ueberraschung als sie heim kam, haben wir leider nichts mitbekommen, denn sie kam an einem Freitag abend. Bis Montag war alles verpufft. Ein zwei Worte, das war's.
Sie benahm sich komisch, was wir auf ihren Gesundheitszustand zurueckfuehrten.
Ich schliesse ja gerne von mir auf andere, also ich haette jeden Tag mal den Kopf reingestreckt und wenigstens HALLO gesagt. Von Sue-Anne haben wir manchmal tagelang nichts gesehen. Ich musste durch ihr Treppenhaus um ins neue Buero zu gelangen, dabei sah ich sie lesend auf der Couch. Sie antwortete auf meinen Gruss, aber sonst nix. Sie zeigte Null Interesse an ihrer Firma, was wir auch auf den Zustand schoben.
In diesem Jahr hatten wir soviel zu tun, dass die sogenannte jaehrliche Winterpause quasi ausfiel. 2 Wochen um Weihnachten waren wir daheim. Dann ging es weiter.
Wir haben uns darueber sehr gefreut, war es doch eine Bestaetigung unserer Arbeit.
Anfang Januar bemerkten wir dann, dass Sue-Anne waehrend unserer Abwesenheit Veraenderungen vornahm, die alles durcheinander brachten. Im Buero und auch in der Produktion. Wir baten um ein Gespraech und erklaerten ihr, dass wir nur solange weitermachen, wie sie es wuenscht. Wir haben ihr klar gemacht, dass wir jederzeit bereit sind zurueckzutreten und das SIE der Boss ist. Gespraeche dieser Art fanden etwa 5x statt. Jedesmal versicherte sie uns, dass es noch zu frueh fuer sie sei und wir unsere Jobs weitermachen sollten. Sie wolle sich in Zukunft zurueckhalten.
Am naechsten Tag, war es dann jedesmal so, als haette nie ein Gespraech stattgefunden.
Wir alle haben uns immer wieder geargert. Es waren meistens nur kleine Dinge die sie durcheinander brachte, aber als sie meinen neuen grossen Kunden, der uns quasi ueber den Winter brachte, durch ungeschicktes und stures Gebahren vergraulte, konnte und wollte ich so nicht weitermachen.
Rhonda war zwar mit der Chemo, die sie sehr gut vertragen hatte, fertig, aber nun schwaechelte sie. Es ging ihr nicht mehr gut und mir auch nicht. Es war Zeit fuer eine Veraenderung.
Am 01.02.2010 traffen Rhonda und ich die Entscheidung, von unseren "Extra-Positionen" zurueckzutreten und nur noch am Produktionstisch von 9-13 Uhr zu arbeiten. Ohne Entscheidungsbefugnis, ohne Verantwortung. Wir teilten Sue-Anne unsere Entscheidung mit und sie schien erleichtert darueber, was ich nicht verstehen kann, denn wir haben ja von Anfang an gesagt, dass sie uns nur sagen muss, wenn sie wieder uebernehmen moechte...
2 Tage haben wir am Tisch gearbeitet. Dann wurde ich krank. 40 Grad Fieber, am Tag drauf erkrankten die Maedels und die TSF schloss.
Am uebernaechsten Montag erschienen wir wieder alle zur Arbeit. Ich hatte, wie in den bisherigen 5 Monaten auch, meinen nicht infektioesen Husten, aber mein grippaler Infekt war weg.
Sue-Anne erschien auf der Bildflaeche, herrschte mich an, ob ich noch husten wuerde, was ich bestaetigte. "Dann geh wieder heim, mit Husten kannst du hier nicht arbeiten".
Ach, jetzt geht das nicht mehr? 5 Monate lang ging es? Mein Husten ist nicht ansteckend und ich habe auch nichts mit unverpackten Lebensmitteln zu tun. Meine Position am Produktinstisch ist das verschliessen der eingepackten Sticks. Und ich huste da ja nicht rein...
Also bin ich wieder heim, schon mit dem Gedanken, dass ich wohl nicht mehr wieder kommen wuerde.
Von Rhonda und den Maedels bekam ich erzaehlt, wie unangehm es auf der Arbeit ist. Alles wird kontrolliert, man wird behandelt wie ein Kleinkind, beformundet, Kritik wird nicht offen ausgesprochen, sondern man findet am naechsten Morgen ein Nachricht auf einer Wandtafel.
Jeden Tag rief mich irgendeine von den Maedels an und hat mir weitere Horrorstorries erzaehlt.
Rhonda z.B. die als Supervisor bisher 11 $ die Stunde bekam, fand einen Zettel in ihrem Payscheckumschlag, dass am Produktionstisch 10 $ bezahlt wird und das sich das auf ihrem naechsten Payscheck reflektieren wird. Hallo? Denkt die Frau mal nach, was Rhonda fuer ihren Laden alles geleistet hat? Und wenn sie dann nicht mehr kann, wird sie bestraft?
Rhonda schweigt und nimmt es hin. Sie hat noch ettliche Arzttermine vor sich und braucht einen flexiblen Job. Bisher war er das immer. Deshalb will sie sich im Moment nichts anderes suchen.
Aber ich weiss genau, dass ich meinen Mund nicht immer halten kann. Aber so, wie Sue-Anne im Moment drauf ist, bin ich auf verlorener Position. Und wenn ich 10x recht haette, SIE ist der Boss. Deshalb habe ich am Sonntag, den 07.03.2010 offiziell per Email meinen einst so geliebten Job in der TickleStick Factory Inc. gekuendigt. Nie haette ich gedacht, dass es einmal dazu kommen wird.
Wir haben gestern zusammen gesessen und uns ueberlegt, wie das alles kam.
Wann ist die Stimmung so umgschlagen? Was haben wir falsch gemacht?
Hat es ihr nicht gefallen, dass wir erfolgreich waren ohne sie? Erfolgreicher als sie?
Hat man ihr vielleicht zusammen mit dem Knochenmark auch das Gehirn ausgetauscht?
Viele Fragen, keine Antwort.
Ich weiss nicht, ob ihr verstehen koennt, was ich (und auch Rhonda) empfinde. Manche Situationen der letzten Wochen kann man auch gar nicht so richtig beschreiben. Eisige Atmosphaere und Misstrauen lagen in der Luft...
Wir haben das Geschaeft gefuehrt, als ob es unser eigenes sei und haben alles dafuer getan, dass wir unserer vermeintlichen Freundin die Existenz erhalten koennen.
Es tut mir zwar sehr leid, aber andererseits beruhigt es mich auch wieder, dass Sue-Anne ganz offensichtlich mit allen und nicht nur mit mir ein Problem hat. Aber ich habe mir einst in Deutschland geschworen, dass ich NIE WIEDER in einem Umfeld arbeiten werden, in dem ich mich unwohl fuehle. Also habe ich die Konsequenzen gezogen.
Ich musste das jetzt mal im Detail loswerden und nun schliesse ich das Kapitel TSF und fange ein neues an.
Danke fuers Zuhoeren :-)

1 Kommentar:

  1. Ich kann Deine Enttäuschung sehr gut verstehen! Ich denke, sie konnte es nicht verkraften, dass es ohne sie so gut lief und dass Ihr das alles so prima gemeistert habt. Sehr sehr schade... Wie man doch menschlich enttäuscht werden kann...

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