Freitag, 11. November 2011

Remembrance Day oder Mein ganz personeliches Problem mit dem Nationalstolz


Heute ist Remembrance Day.
Zu deutsch: Volkstrauertag. Heute wird der Kriegstoten gedacht und seit Wochen gibt es einen regelrechten Hype um diesen Tag. Freiwillige Helfer des Veteranenverbandes verteilen gegen eine Spende kuenstliche Mohnblumen, die hier (fast) jeder mit Stolz traegt um seine Dankbarkeit fuer die Dienste der Soldaten zum Ausdruck zu bringen. Im Radio hoert man nichts anderes mehr als "Denke dran, was diese Menschen fuer uns tun. Sie ermoeglichen uns ein Leben in Freiheit und Frieden, sie sichern unsere Kultur und unseren Lebensstandard. Wenn Du einen Soldaten auf der Strasse siehst, vergiss nicht ihm die Hand zu schuetteln und ihm fuer sein persoenliches Engagement zu danken"
Heute, am eigentlichen Ehrentag, finden zahlreiches Gottesdienste, Ceremonien und Paraden statt. Eigentlich alles OK, aber irgendwie nervte mich dieser Hype zunehmend, bis zu dem Punkt, dass ich das Radio ausgeschaltet habe, wenn es wieder soweit war. Aber warum? Warum reagiere ich so sauer? Warum kann ich das nicht einfach uebernehmen, so wie ich andere kanadische Traditionen auch uebernommen habe? Ich bin ja auch nicht beleidigt, wenn ich Thanksgiving oder Halloween feiern soll. Und den Canada Day geniesse ich regelrecht...
Also hab ich mich mal hingesetzt und erst in Ruhe nachgedacht und dann ein wenig online recheriert. Und das ist dabei herausgekommen:

November 2008. Ich war mit meiner damaligen Chefin Sue-Anne und ein paar anderen Maedels in den USA zum shoppen unterwegs. Alle trugen die Mohnblume. Ich fragte nach deren Bedeutung und bekam sie erklaert. Als ich dann fragte, ob ich auch sowas tragen sollte, meine Sue-Anne entruestet:
NEIN. Du bist ja der Feind!
Sie meinte das damals nicht ernst. Sie hat einen sehr markabren Sinn fuer Humor und wollte einfach nur witzig sein. Aber im Prinzip hat sie genau das gesagt, was ich empfunden habe, als man mir die Bedeutung erklaerte. Wir ehren die Toten, die IHR im 2. Weltkrieg umgebracht habt. Das hat natuerlich so niemand gesagt, aber das ist das, was in meinem Unterbewusstsein angekommen ist. Was fuer ein Unsinn! Aber so ist es.
Mein deutscher Nationalstolz ist quasi nicht vorhanden.
Aber offensichtlich ist das nicht nur bei mir so. Ich meine, wir sind eben entsprechend aufgewachsen. Warum sonst sieht man hier in Kanada keine Deutsche Flagge sondern hoechstens mal eine Bayrische, Saechsische oder Hessische? Warum sonst traegt jemand aus Deutschland ploetzlich lieber ein Holland oder Barcelona T-Shirt als ein Deutschland Shirt? Zufall? Oder unterbewusstes Handeln?

Folgendes habe ich dazu im Netz gefunden:

Frage einen Amerikaner, was er ist.
Er wird Dir sagen: “Ich bin Amerikaner!”
Frage einen Franzosen, was er ist.
Er wird Dir sagen: “Ich bin Franzose!”
Frage einen Japaner, was er ist.
Er wird Dir sagen: “Ich bin Japaner!”
Frage einen Deutschen, was er ist.
Er wird Dir sagen: “Ich bin Postbote!”

Während andere Völker für ihr Land leben, kämpfen und sterben, schämen wir uns nur für unseres – und das, obgleich die Scham an sich das wirklich Beschämende daran ist. Der Durchschnittsdeutsche lebt noch immer in einer ständigen, unterschwelligen und unterdrückten Angst, von international Zugezogenen bewertet zu werden. In unseren Köpfen diskriminieren wir uns selbst. Zitat aus diesem Artikel aus 2006.

Aha. Es geht also nicht nur mir so. Also ist es Zeit, endlich mal umzudenken.
Auch wenn unsere deutsche Geschichte wirklich schrecklich ist, so hat unsere Generation damit nichts zu tun. Unsere einzige Aufgabe ist es doch, sich soetwas nicht wiederholen zu lassen, und das macht es so schwierig.
Aber es gibt doch nun wirklich genug Gruende, stolz auf Deutschland zu sein, wie jemand als Kommentar zu dem oben erwaehnten Artikel schrieb:
Ich arbeite seit ca. einem Jahr in Alabama, USA. Ich bin noch nie so stolz gewesen, ein Deutscher zu sein. Worauf ich stolz bin? Da gibt es tausende Gruende, z.B. duales Bildungssystem, keine Todesstrafe und Achtung von Menschenrechten, umweltbewusstes Denken und Handeln, Toleranz und gesellschaftlicher Liberalismus, Trennung von Kirche und Staat, der deutsche Pazifismus, deutsche Normen (DIN, TUEV), deutsche Verkehrswege und -systeme. Ich koennte die Liste endlos fortsetzen. Was ich meine, dass sich viele Deutsche gar nicht bewusst sind, in was fuer einem grossartigen Land sie leben...

Nun, ICH persoenlich lebe ja nun nicht mehr dort, aber ein nicht unwesentlicher Teil meines Lebens ist dort: Mein Kind. Meine Eltern. Meine Freunde. Und so ist ein Stueck von mir nach wie vor in Deutschland und wird es auch immer bleiben. Und es gibt keinen Grund, sich dafuer zu schaemen.

So. Und jetzt ziehe ich mich an und mache mich auf den Weg, meine mohnblumentragenden kanadischen Freunde zu treffen und mit ihnen der Remembrance Ceremonie bezuwohnen :-)

xoxo

1 Kommentar:

  1. Schoen geschrieben, das mit dem fehlenden Nationalstolz bei den meisten Deutschen fiel mir schon vor ueber 20 Jahren in den USA auf. Ist ja auch kein Wunder, wir haben es jahrelang ausgetrieben bekommen! Ausser beim Fussball kommt der Nationalstolz nicht mehr in grossen Massen vor...
    LG,
    Sue

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